Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich auf ein Abkommen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise geeinigt. Alle 28 EU-Staats- und Regierungschefs und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu haben die Vereinbarung angenommen, twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Ab Sonntag beginne die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei, schrieb die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė auf Twitter.

Kanzlerin Angela Merkel sagte, die EU habe mit dem Abkommen gezeigt, dass sie zu gemeinsamen europäischen Antworten fähig sei. Ihr Fazit: Europa werde es schaffen, diese schwierige Bewährungsprobe zu bestehen. Das Abkommen bedeute ein "Momentum der Unumkehrbarkeit".

Von dem Abkommen geht Merkel zufolge auch eine Botschaft an die Flüchtenden aus. Der Weg von der Türkei nach Griechenland sei nicht mehr aussichtsreich: "Wer sich auf den gefährlichen Weg begibt, der riskiert nicht nur sein Leben, sondern hat auch keine Aussicht auf Erfolg." Denn er werde in die Türkei zurückgebracht. Merkel zeigte sich überzeugt, dass auf diesem Wege die illegale Migration beendet werde. Somit werde das Geschäftsmodell von Schleusern zerstört.

Der türkische Ministerpräsident Davutoğlu sprach von einem "historischen Tag". "Heute erkennen wir, dass die Türkei und die EU dasselbe Schicksal, dieselben Herausforderungen, dieselbe Zukunft haben." Er ergänzte: "Es gibt keine Zukunft der Türkei ohne die EU und keine Zukunft der EU ohne die Türkei."

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán zeigte sich zufrieden, dass bei dem Gipfel keine Verpflichtung für EU-Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen festgeschrieben wurde. "Wir haben die größte Gefahr gebannt", sagte er der staatlichen ungarischen Nachrichtenagentur MTI.

Zentraler Bestandteil des Abkommens ist, dass die Türkei künftig Flüchtlinge zurücknimmt, die illegal über die Ägäis nach Griechenland gekommen sind. Dieser Mechanismus gelte für alle Flüchtlinge, die nach dem 20. März von der Türkei aus auf die griechischen Inseln gelangen. Die Abschiebungen sollen ab dem 4. April beginnen.

Die Flüchtlinge sollen in Griechenland zwar formal noch um Asyl ersuchen können, so ist es rechtlich vorgeschrieben. Praktisch sollen sie aber "schnell" wieder in der Türkei landen, weil das Land als sicherer Drittstaat eingestuft wird und die meisten daher auch dort um Asyl bitten können. Im Gegenzug für jeden so zurückgeschickten Flüchtling will wiederum die EU der Türkei einen Flüchtling abnehmen. Bei der Bewerbung um diese "europäischen Kontingente" sollen dann diejenigen, die schon illegal in Griechenland waren, schlechtere Karten haben.

Große logistische Herausforderung

Dieses Verfahren sei auch eine große logistische Herausforderung, sagte Merkel. Denn es müssten viele Asylanträge in Griechenland schnell bearbeitet werden, damit die Rückführung in die Türkei gemäß internationalem Recht stattfinden könne. Für die Bewältigung dieser Aufgabe wolle die EU noch am Wochenende Experten nach Griechenland schicken, kündigte die Kanzlerin an. Maarten Verwey solle als EU-Koordinator die Aufgaben steuern, twitterte ein Korrespondent der Financial Times.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach von einer Herkulesaufgabe. "Dies ist die größte logistische Herausforderung, mit der die Europäische Union sich je konfrontiert sah." Zur Umsetzung der Absprachen sind Juncker zufolge 4.000 Mitarbeiter erforderlich. Außer Griechenland sollten auch andere EU-Staaten, die EU-Grenzschutzagentur Frontex und die europäische Asylagentur EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen) Personal stellen. "Der Gesamtkostenpunkt dieser Operation wird sich in den nächsten sechs Monaten auf 280 bis 300 Millionen Euro belaufen."

Das Abkommen sieht im Vergleich zu ersten Entwürfen einen wichtigen Zusatz vor. Demnach soll der sogenannte 1:1-Mechanismus ausgesetzt werden, wenn das Limit von 72.000 Plätzen erreicht ist. Für jeden Syrer, der in die Türkei kommt, soll ein Syrer legal in die EU reisen dürfen. Dadurch sollen Anreize für die Flüchtlinge geschaffen werden, sich um ein legales Ticket nach Europa zu bewerben. Für diesen Weg sollen zunächst 18.000 Plätze zur Verfügung stehen, diese könnten später um weitere 54.000 Plätze ergänzt werden.

Im Gegenzug erhält die Türkei Visafreiheit. Der türkische Premier Davutoğlu versichterte, dass sein Land die dafür notwendigen Voraussetzungen zügig erfüllen werde. So sei die Aufhebung der Visapflicht für Türken voraussichtlich bereits Ende Juni möglich.

Auch die Beitrittsverhandlungen sollen wieder aufgenommen werden. Darüber hinaus bestätigt das Abkommen, dass die EU zumindest bereit ist, über weitere drei Milliarden Euro Förderung an die Türkei zu entscheiden, zusätzlich zu den bisher schon zugesagten drei Milliarden.