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Europäisch-kanadisches Freihandelsabkommen Ceta erlaubt Klagen gegen öffentliche Versorger in Deutschland

Wenn kanadische Firmen um ihre Geschäfte fürchten, könnten sie mittels Ceta künftig deutsche Versorger verklagen. Das Wirtschaftsministerium beschwichtigt mit einer umstrittenen Begründung.
Trinkwasseraufbereitungsanlage in den USA

Trinkwasseraufbereitungsanlage in den USA

Foto: Siemens Ag/ picture-alliance/ dpa

Trotz Nachbesserungen am europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen Ceta kann die Bundesregierung nicht ausschließen, dass Investoren künftig gegen öffentliche Dienstleistungen wie die Wasserversorgung klagen. Das geht aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen hervor, die SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Das Ministerium von Sigmar Gabriel (SPD) bestreitet darin nicht, dass künftig auch öffentliche Dienstleistungen vor einem Investitionsgericht landen könnten. Diese seien jedoch "in Ceta besser vor Klagen geschützt als nach dem Grundgesetz".

Mithilfe von Freihandelsabkommen können Investoren klagen, wenn sie sich durch Regierungsentscheidungen um Gewinne gebracht sehen. Dies gehört zu den größten Kritikpunkten an Ceta und TTIP, dem Schwesterabkommen mit den USA. In Nachverhandlungen erreichte die EU, dass besonders umstrittene private Schiedsgerichte durch einen ständigen Investitionsgerichtshof (ICS) ersetzt werden. Zudem wurde grundsätzlich ein staatliches Recht auf Regulierung (right to regulate) verankert.

Als Durchbruch feierte die SPD  diese Änderungen, die vor allem auf Druck der Parteibasis zurückgingen. Juristen sehen das Abkommen jedoch weiter skeptisch. So kritisiert der Deutsche Richterbund , weder das Ernennungsverfahren von ICS-Richtern noch deren Stellung genügten internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit von Gerichten.

Die Grünen stützen sich nun besonders auf ein Gutachten des Europarechtlers Martin Nettesheim  für die baden-württembergische Landesregierung. Demnach berührt Ceta die "Freiheit der Länder und Gemeinden, den Bürgerinnen und Bürgern umfassende, effiziente und kostengünstige Leistungen der Daseinsvorsorge zu erbringen". Auch das right to regulate könne "nur innerhalb der Liberalisierungsstrukturen von Ceta wahrgenommen werden".

Ein heikles Ergebnis  für Baden-Württembergs grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der Ceta grundsätzlich befürwortet. Sein Staatsministerium veröffentlichte das Gutachten erst auf Druck des Vereins Mehr Demokratie.

Kritisch beurteilt auch der Völkerrechtler Markus Krajewski  von der Universität Erlangen-Nürnberg den Vertragstext. Öffentliche Dienstleistungen sollten generell von Ceta ausgenommen werden, fordert er in einem Gutachten für den Verband der europäischen Dienstleistungsgewerkschaften und die Arbeiterkammer Wien. Beide Institutionen lehnen das Abkommen in der jetzigen Form ab.

Heikles Thema Wasser

Die Liberalisierung des Wassermarktes ist wegen der fundamentalen Bedeutung des Rohstoffs besonders umstritten. So verzichtete die EU-Kommission nach öffentlichen Protesten darauf, die Wassersversorgung in die sogenannte Konzessionsrichtlinie aufzunehmen. Zwar missbrauchten auch öffentliche Versorger ihre Monopolstellung wiederholt für überhöhte Preise. Doch die zum Teil massiven Preissteigerungen nach Privatisierungen führten dazu, dass Städte wie Paris und Berlin ihre Wasserversorgung wieder selbst in die Hand nahm.

Könnten bei solchen Rekommunalisierungen künftig Klagen kanadischer Investoren drohen? Das Wirtschaftsministerium weist solche Bedenken zurück. Es argumentiert dabei sowohl mit dem seit 1995 gültigen Dienstleistungsabkommen GATS als auch mit den neuen Regeln in Ceta.

Die Ceta-Vorgaben für die Wasserwirtschaft gingen "nicht über das hinaus, was seit 20 Jahren im Rahmen des GATS gegenüber allen WTO-Mitgliedern gilt und seither nicht zu Problemen geführt hat", schreibt Gabriels Staatssekretär Matthias Machnig. Auch sei im Abkommen klargestellt, dass "Ceta keine Partei verpflichtet, einem Investor die kommerzielle Nutzung von Wasser zu erlauben und dass Wasser in seinem natürlichen Zustand kein kommerzielles Gut darstellt".

Tatsächlich gibt es in Ceta wie GATS eine Klausel, die bei öffentlichen Dienstleistungen grundsätzlich staatliche Monopole und Sonderregelungen erlaubt. Doch zwischen GATS und Ceta bestehen auch große Unterschiede. "Anders als bei GATS enthält Ceta Sonderrechte für Investoren und auch Sonderklagerechte, die nur ausländische Investoren geltend machen können", kritisiert die parlamentarische Geschäftsführerin und kommunalpolitische Sprecherin der Grünen, Britta Haßelmann. Die in Ceta formulierten Ausnahmen und Vorbehalte bezögen sich gerade nicht auf diese Sonderrechte.

Zudem funktioniert GATS über sogenannte Positivlisten: Nur für Dienstleistungen, die hier erwähnt werden, muss der Marktzugang liberalisiert werden. Ceta kehrt diesen Ansatz um: Hier müssen all jene Sektoren ausdrücklich erwähnt werden, für die Ausnahmen von der Liberalisierung gelten sollen. Öffentliche Wasserbetriebe warnen , dass eine Rekommunalisierung unmöglich werden könnte, falls sie künftig neue Aufgaben übernehmen - etwa das Recycling von Rohstoffen aus Abwässern.

Was ist verhältnismäßig?

Das Wirtschaftsministerium widerspricht: Nach Ansicht der Bundesregierung enthalte Ceta keine Vorgaben, welche die Tätigkeit öffentlicher Unternehmen in neuen Tätigkeitsfeldern einschränke. Auch Vorschriften wie der sogenannte Anschluss- und Benutzungszwang für die öffentliche Wasserversorgung seien kein Problem, solange sie nicht "offensichtlich unverhältnismäßig" seien.

Zur Rechtmäßigkeit von Regierungsentscheidung haben Schiedsgerichte in der Vergangenheit jedoch zum Teil sehr widersprüchliche Urteile gefällt. Zugleich zeigten sich Investoren äußerst umtriebig, wenn es darum ging, das System in ihrem Sinne zu nutzen. So verlegten mehrere Ölkonzerne ihre Zentralen in die Niederlande, die als besonders freundlich gegenüber Investorenklagen gelten.

Der Erlanger Jurist Krajewski widerspricht denn auch der Aussage des Wirtschaftsministeriums, ein Abkommen wie Ceta schütze besser vor Investorenklagen als das Grundgesetz. Die Regeln der deutschen Verfassung seien für sich weniger detailliert als im Freihandelsabkommen, aber durch "eine jahrzehntelange Rechtspraxis" präzisiert. Vor allem aber eröffne Ceta Klagewege, die es bislang nicht gab. "Auch nach den präzisierten Klauseln kann durch Ceta weiter auf Schadensersatz geklagt werden - das geht nach dem Grundgesetz nicht."

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte unmittelbar nach dem Brexit-Votum bekannt gegeben, er wollte Ceta ohne Beteiligung der nationalen Parlamente beschließen lassen. Er machte einen Rückzieher, nachdem unter anderem Wirtschaftsminister Gabriel das Vorgehen als dumm und unglaublich töricht kritisierte. Nun sollen die Parlamentarier der Mitgliedsländer doch zustimmen, können am Vertragstext aber voraussichtlich nichts mehr ändern. Teile des Abkommens könnten zudem schon vorher in Kraft treten.

Vor diesem Hintergrund plädiert Grünen-Politikerin Haßelmann für ein Nein zu dem Abkommen. "Für die öffentliche Daseinsvorsorge braucht es eine Generalausnahme, die umfassend und rechtssicher alle öffentlichen Dienstleistungen schützt", sagt sie. "Deshalb darf die Bundesregierung Ceta so nicht zustimmen, auch nicht vorläufig."

Zusammengefasst: Mehrere Gutachten kommen zu dem Schluss, durch das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta könnten Investoren gegen öffentliche Dienstleistungen wie die Wasserversorung klagen. Das Bundeswirtschaftsministerium widerspricht solchen Bedenken. Ausschließen kann es Klagen aber nicht.