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Verurteilte Homosexuelle rehabilitieren

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Wir müssen uns entschuldigen bei Männern, die mit Hilfe eines veralteten Gesetzes verurteilt wurden.

Von Eva Kühne-Hörmann und Kai Klose

Zeit zu handeln: Männer, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen strafrechtlich verurteilt wurden, verdienen die Bestätigung, dass sie kein Unrecht begangen haben. Juristen gelten in der öffentlichen Wahrnehmung eher nicht als Freunde heißblütiger Diskussionen. Es kommt daher auch nicht oft vor, dass rechtspolitische Diskussionen emotional und öffentlich geführt werden. Umso beachtenswerter sind Themen, die es aus dieser trockenen Umgebung heraus schaffen und zum Gegenstand der öffentlichen Debatte werden.

Eines dieser Themen ist die Rehabilitierung von Männern, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen strafrechtlich verurteilt wurden. Hinter dieser sperrigen Beschreibung verbergen sich schätzungsweise 140 000 Einzelschicksale. Bis 1969 galt auch in der Bundesrepublik der in der NS-Zeit verschärfte Paragraph 175 Strafgesetzbuch (StGB) weiter. Mehrjährige Gefängnisstrafen, der Entzug der Fahrerlaubnis und der Verlust des Arbeitsplatzes waren häufig die Folge. Die Zerstörung der bürgerlichen Existenz hat das Leben einer ganzen Generation homosexueller Männer massiv eingeschränkt und bedroht. Sie wurden ihrer Menschenwürde beraubt, in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt und in ihrer Ehre verletzt.

Seit langem wird diskutiert, wie mit den auf Basis dieses (Un-)Rechts verurteilten Personen umzugehen ist. Für die rechtsstaatliche Tradition der Bundesrepublik besteht eine schwierige rechtliche Hürde: Wie umgehen mit strafrechtlichen Verurteilungen, die in ihrer Zeit rechtsstaatlich zustande gekommen sind und zum Teil höchstrichterlich bestätigt wurden?

Einvernehmliche (homo-)sexuelle Handlungen unter Erwachsenen strafrechtlich zu ahnden, befremdet uns heute. Das gesellschaftliche Klima in Deutschland hat sich glücklicherweise erheblich geändert. Unsere Gesellschaft ist weltoffen und vielfältig. Keine Beschreibung unseres Lebensgefühls käme heute ohne diese Attribute aus, bei der die Akzeptanz des Andersseins vielleicht eine der größten Errungenschaften unserer Generation darstellt.

Die politische Debatte ist bereits entschieden, denn der Widerstand, sich bei den Verurteilten öffentlich zu entschuldigen und sie damit (überhaupt erst) als Opfer anzuerkennen, ist überwunden. Auf der rechtlichen Ebene werden Argumente gegen eine Rehabilitierung der Opfer angeführt. Doch kann und darf man eine Opfergruppe politisch definieren und sie dann rechtlich nicht als solche behandeln? Wohl kaum!

Gegen eine Rehabilitierung werden regelmäßig drei Argumente genannt: Zum einen die seinerzeitige Billigung entsprechender Strafnormen durch das Bundesverfassungsgericht und der mit einer Rehabilitierung einhergehende Verstoß gegen die Gewaltenteilung. Zum anderen die Fragestellung, was die Opfergruppe der Homosexuellen von anderen Verurteilten unterscheidet, bei denen Strafnormen aufgrund geänderter gesellschaftlicher Ansichten ebenfalls abgeschafft wurden, beispielsweise bei der Prostitution. Drittens wird angeführt, dass unser Rechtsstaat mit ausgeurteiltem Unrecht allgemein unvereinbar ist.

Alle diese Argumente sind zwar berechtigt. Dennoch sind wir der Meinung, dass es Zeit ist, zu handeln. Nicht nur, weil bei vielen Opfern die Zeit abläuft und es eines der wichtigsten Anliegen in dieser Debatte sein sollte, diesen Männern vor ihrem Tod die Bestätigung zu geben, dass sie zu Unrecht verurteilt wurden. Es stellt sich auch die Frage, ob die Jahrzehnte zurückliegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, auf die sich berufen wird, noch die Strahlkraft in dieser Debatte haben. Muss die Diskussion nicht vielmehr auf die Frage gelenkt werden, ob ein entsprechendes Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz heute vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft würde?

Das Argument, höchstrichterlich bestätigtes Recht dürfe nicht durch eine gesetzgeberische Wertung nachträglich wie Unrecht behandelt werden, ist deshalb aus unserer Sicht eine überwindbare Hürde. Dies gilt im Übrigen auch für das Argument, dass dieses Rehabilitierungsansinnen auf andere Fallgruppen überspringen könnte. Denn die Sachverhalte sind nicht vergleichbar.

Das am schwersten wiegende Argument ist wohl auch der emotionale Treibstoff der Debatte. Darf es in einem Rechtsstaat eine moralische Revision durch nachfolgende Generationen geben? In anderen Politikbereichen ist die Antwort auf diese Frage bereits gegeben worden.

Bei der Rehabilitierung von nach § 175 StGB Verurteilten steht sie noch aus. Dabei ist der Rechtsstaat gerade an dieser Stelle in einer seiner Grundfunktionen gefragt: Nämlich als Garant der individuellen Freiheit. Es geht um Schicksale, um Menschen, denen im Namen des Volkes Unrecht angetan wurde. Und es ist für uns als freiheitliche Gesellschaft eine Notwendigkeit, dieses als solches erkannte Unrecht im Namen des geänderten gesellschaftlichen Konsenses wieder gut zu machen. Wir sollten den Mut aufbringen, die juristischen Hürden zu überwinden. Denn nur eine Gesellschaft, die offen mit solchen Fragestellungen umgeht, kann letztlich glaubwürdig unsere Werte in der Welt vertreten, wie wir dies so gern tun. In diesem Sinne rufen wir dem Bundesjustizminister zu: Zeit zu handeln, Herr Maas!

Eva Kühne-Hörmann ist hessische Justizministerin und CDU-Mitglied. Kai Klose ist Vorsitzender der hessischen Grünen.

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