2. Untersuchungsausschuss

Pkw-Maut: Rolle von Verkehrsminister Scheuer unterschiedlich bewertet

Koalition und Opposition haben ein diametral unterschiedliches Fazit der Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses („Pkw-Maut“) gezogen. In der Debatte über den Abschlussbericht des 2. Untersuchungsausschusses (19/30500) am Mittwoch, 23. Juni 2021, attackierten Vertreter der Opposition Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vehement und forderten erneut seinen Rücktritt. Vertreter der Koalition erklärten hingegen, dass Scheuer keine Rechtsverstöße nachzuweisen seien.

CDU/CSU: Parteipolitisch motivierte Wahlkampfmanöver

Die )stellvertretende Vorsitzende des 2. Untersuchungsausschusses, Nina Warken (CDU/CSU) griff in der Debatte das Verhalten der Oppositionsfraktionen an. Sie hätten „durchsichtige und parteipolitisch motivierte Wahlkampfmanöver“ betrieben, und es sei ihnen vom ersten Tag der Ausschussarbeit an nur darum gegangen, öffentlichkeitswirksam unbewiesene Behauptungen aufzustellen. Von Beginn an habe für sie festgestanden, dass Scheuer zurücktreten müsse.

Dabei entlaste der Abschlussbericht den Bundesverkehrsminister, betonte Warken. Der Bericht übe aber dort, wo es angebracht sei, auch Kritik. So seien beispielsweise die finanziellen Folgen einer Kündigung nicht ausreichend geprüft worden. Dem Bundesverkehrsministerium seien jedoch keine Rechtsverstöße nachzuweisen, und die frühzeitige Unterzeichnung der Verträge sei als „vertretbares Exekutivhandeln“ einzuschätzen.

AfD: Inszenierung auf Kosten des Steuerzahlers

Der Name von Andreas Scheuer werde immer mit dem Scheitern der Pkw-Maut verbunden bleiben, sagte Wolfgang Wiehle, Obmann der AfD-Fraktion im 2. Untersuchungsausschuss. Der Minister sei ein Großmeister der vollmundigen Ankündigungen und ein peinlicher Versager bei der Umsetzung. Es wäre ein Zeichen von Selbstachtung, wenn der Minister den Hut nähme.

Wiehle sprach von einem „dramatischen Scheitern“ des Projekts und einer politischen Inszenierung auf Kosten des deutschen Steuerzahlers. Ausgangspunkt sei der Koalitionsvertrag von 2013 gewesen, da dieser einen Auftrag formuliert habe, der europarechtlich nicht erfüllbar gewesen sei. Die politische Lehre aus dem Debakel müsse sein, Kompetenzen aus Brüssel nach Deutschland zurückzuholen.

SPD: Ministerielle Kommunikation muss überprüfbar sein

Der Ausschussvorsitzende Udo Schiefner (SPD) wies darauf hin, dass der Ausschuss 3.000 Ordner mit über einer Million Blatt Papier durchgearbeitet habe. Seine Ziele als Ausschussvorsitzender seien gewissenhafte Aufklärung, sachliche Arbeit und konstruktive Zusammenarbeit gewesen. Ein Untersuchungsausschuss sei keine politische Showbühne, betonte Schiefner.

Die Vorwürfe des Bundesrechnungshofs an die Adresse des Bundesverkehrsministeriums seien nicht aus der Luft gegriffen, sagte er weiter. Der Minister habe politische Ziele vorgegeben, und das Ministerium habe die Dinge dann passend gemacht. Schiefner kritisierte zudem, dass der Ausschuss drei Anläufe brauchte, bis das Ministerium die Vollständigkeit der Akten erklärt habe, und forderte die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass ministerielle Kommunikation in Zukunft überprüfbar sei.

FDP: Fehlerkette reicht für mehrere Rücktritte

Von einem Scheitern mit Ansage und einem riesigen Schaden für den Steuerzahler sprach Oliver Luksic, Obmann der FDP-Fraktion im Untersuchungsausschuss. Die Ausschussarbeit habe gezeigt, dass das Ministerium massive Fehler gemacht und sowohl Vergabe- als auch Haushaltsrecht gebrochen habe.

Zudem habe der Minister das Parlament an vielen Stellen falsch informiert, einen „katastrophalen“ Vertrag abgeschlossen und am Tag des Urteils des Europäischen Gerichtshofs „in Wildwest-Manier“ die Verträge mit den Betreibern gekündigt. Diese Fehlerkette, so Luksic, reiche eigentlich für mehrere Rückritte.

Linke: Maut war europarechtswidrig

„Es ist unerträglich, dass niemand hier die Verantwortung übernimmt“, sagte Jörg Cezanne, Obmann der Fraktion Die Linke im Untersuchungsausschuss. Die Maut sei zu jedem Zeitpunkt europarechtswidrig gewesen, und  Scheuer habe bewusst das Haushaltsrecht gebrochen, indem er Kosten für die Pkw-Maut bei der bundeseigenen Gesellschaft Toll Collect versteckt habe.

Das Ministerium sei überfordert und personell ungenügend aufgestellt gewesen, und außerdem habe Scheuer gegenüber dem Parlament geleugnet, dass es ein Angebot der Betreiber zur Verschiebung der Vertragsunterzeichnung gegeben habe. Damit habe der Minister eklatant gegen Grundsätze ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns verstoßen.

Grüne: Gegen Haushalts- und Vergaberecht verstoßen

Der Untersuchungsausschuss habe minutiös herausgearbeitet, dass Bundesminister Scheuer die Maut mit der Brechstange habe durchdrücken wollen, sagte Oliver Krischer, Obmann der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Untersuchungsausschuss. Damit habe er das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland beschädigt und für Politikverdrossenheit gesorgt. Scheuer habe Haushaltsrecht gebrochen und gegen das Vergaberecht verstoßen.

Zu erwähnen sei auch die „Kündigungslüge“: Scheuer und seine Berater hätten exakt am Tag des Urteils des Europäischen Gerichtshofs festgestellt, dass die Betreiber Fehler gemacht hätten, die eine Kündigung rechtfertigten. Insgesamt sei der Vertrag dilettantisch ausgehandelt gewesen. Dass Scheuer im Ausschuss gesagt habe, er würde wieder so handeln., sei ein Skandal „“Es ist absolut überfällig„, erklärte Krischer, “dass dieser Mann endlich seinen Stuhl räumt.„

“Dem Risiko hätte größere Bedeutung zukommen müssen„

Der Bundestag nahm den Bericht (19/30500) im Anschluss einstimmig zur Kenntnis. In Bericht, der mit Sondervoten und Anhängen fast 700 Seiten umfasst, stehen europa-, vergabe- und haushaltsrechtliche Aspekte. Bei der im Verlauf der Zeugenbefragungen intensiv diskutierten europarechtlichen Frage kommt der Ausschuss zum Ergebnis, dass der mit der EU-Kommission erzielte Kompromiss zur Umsetzung der Infrastrukturabgabe zwar ein Indiz dafür gewesen sei, dass das Projekt mit EU-Recht konform gewesen sei. “Dem dennoch weiterhin bestehenden Risiko, auch eines vollständigen Scheiterns der Pkw-Maut vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), hätte in der Risikoabwägung jedoch eine größere Bedeutung zukommen müssen„, heißt es im Bericht. Dies betreffe insbesondere auch die finanziellen Folgen einer Kündigung allein aus ordnungspolitischen Gründen.

Die Entscheidung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, den Betreibervertrag vor dem EuGH-Urteil zu unterzeichnen, bewertet der Ausschuss als “vertretbar„. Er weist jedoch darauf hin, dass auch eine spätere Unterzeichnung rechtlich möglich gewesen wäre. Ob es, wie von Zeugen im Ausschuss behauptet, ein Angebot des Betreiberkonsortiums an Scheuer gab, mit der Vertragsunterzeichnung bis nach dem Urteil zu warten, konnte der Ausschuss nach eigenen Angaben nicht klären. Hervorzuheben sei aber, “dass kein Fall einer Lüge, bewusster Verheimlichung oder Manipulation seitens des BMVI oder von Herrn Bundesminister Scheuer MdB persönlich glaubhaft nachgewiesen werden konnte„, heißt es im Fazit des Berichts.

“Haushalterische Zuständigkeiten und Abläufe überprüfen„

Kritisch äußert sich der Ausschuss zu haushaltsrechtlichen Fragen, insbesondere dazu, dass “die haushaltsrechtliche Prüfung im Dezember 2018 unter hohem Zeitdruck stattfand„. Der Ausschuss empfiehlt, “die haushalterischen Zuständigkeiten und Abläufe im BMVI mit dem Ziel zu überprüfen, dass Mitzeichnungen in Vergabeverfahren jeweils eine angemessene Prüfung mit ausreichender Prüfungstiefe zum Ausdruck bringen„.

In Bezug auf das Vergaberecht heißt es im Bericht, dass der Ausschuss einen Verstoß “mit letzter Sicherheit weder entkräften noch bestätigen„ konnte.

FDP, Linke und Grüne mit Sondervotum

Zu einer anderen Einschätzung kommen die Fraktionen von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen in ihrem gemeinsamen Sondervotum. Sie sprechen von einem “politischen Abgrund von Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Bedenkenlosigkeit und Rechtsbruch – verbunden mit einem Erschrecken über mangelhaftes Regierungshandwerk„. Durch seine verfrühte Unterschrift unter die Mautverträge habe Minister Scheuer “den größtmöglichen Schaden für die Bundesrepublik„ in Kauf genommen.

Zudem sei der Prozess der Umsetzung “von fehlender Verantwortung und dem gezielten Umgehen rechtlicher Vorschriften und gesetzlicher Vorgaben„ gekennzeichnet gewesen. Die drei Oppositionsfraktionen zeigen sich außerdem überzeugt, dass Minister Scheuer und sein damaliger Staatssekretär Dr. Gerhard Schulz den Bundestag und den Untersuchungsausschuss über das Angebot zur Verschiebung der Vertragsunterzeichnung zu täuschen versucht hätten. Es habe, so die drei Fraktionen, durchaus die Möglichkeit gegeben, die hohen Schadensersatzansprüche der potenziellen Betreiber durch eine spätere Vertragsunterzeichnung zu vermeiden.

Sondervotum der AfD

Eine Reihe von Sachverhalten habe nur unzureichend aufgeklärt werden können, hält die AfD-Fraktion in ihrem Sondervotum fest. Den gescheiterten Versuch, eine Pkw-Maut einzuführen, bezeichnet sie als “politisches Fiasko„ und als “Inbegriff für verwerfliche Machenschaften, Verschwendung und Prasserei sowie für das Versagen von Politik, Verwaltung und Wirtschaft„.

Das Ausschussgeschehen sei von Gedächtnislücken höchstdotierter Beamter, Verschleierung (Schwärzung) bestehender Aktenlagen und ausweichenden Antworten geprägt gewesen, kritisiert die AfD-Fraktion. (chb/23.06.2021)

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