Bundesinnenminister Friedrich fordert im Spiegel dieser Woche die Aufhebung der Anonymität im Netz. Dies tut er vor dem Hintergrund des Attentats in Norwegen.

Grundsätzlich ist es verständlich und richtig, dass ein Bundesinnenminister nach einer so grauenvollen Gewalttat in Europa nach Antworten sucht. Leider geht aber der Vorschlag der Aufhebung von Anonymität im Netz in der Sache gänzlich fehlt. Es ist kein ernstzunehmender Vorschlag.

Denn weder ist erwiesen, dass Breivik seine Tat aufgrund von Pseudonymisierung und Anonymisierung im Netz begehen konnte, noch ist die Forderung des Ministers umsetzbar.

Selbstverständlich äußern sich Menschen auch im Internet anonym oder unter Pseudonymen radikal. Radikalität und Radikalisierung gibt es aber überall, wo Menschen miteinander diskutieren (innerhalb und außerhalb des Internets), und stehen mit Anonymität nur bedingt in einem Zusammenhang. Unbestritten sind es auch Thesen von öffentlichen und bekannten Personen, die mit ihrem Klarnamen antiislamische und rassistische Thesen verbreiten, die den Attentäter von Norwegen motivierten.

Ein Thilo Sarrazin äußert seine biologistischen Thesen nicht im Schutze der Anonymität im Netz, sondern unter seinem Klarnamen in Büchern und belegt damit Bestsellerlisten. Die Wortführer der rechtspopulistischen und antiislamischen Parteien in Europa und ihre verhetzenden Thesen sind kein Problem der Anonymität im Netz.

Es ist deshalb nicht zu verstehen, dass der Bundesinnenminister einerseits nach Wegen sucht, die Radikalisierung durch das Internet zu verhindern, andererseits aber die durch Sarrazins biologistische Thesen angestoßene populistische Debatte über den Islam in Deutschland im Spiegel-Interview als notwendig bezeichnet.

Zudem ist nicht ersichtlich, wie Friedrichs Forderung nach einem Ende der Anonymität im Netz rechtlich und tatsächlich umsetzbar sein soll. Das Internet ist ein Teil des öffentlichen Raumes unserer Zeit. Selbstverständlich gelten die Grundsätze unserer Rechtsordnung auch im Netz. Damit gelten aber auch die grundgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Privat- und Intimsphäre der Bürgerinnen und Bürger und somit das Recht, sich anonym im öffentlichen Raum bewegen zu können. Genauso wenig wie es rechtlich möglich wäre, von den Menschen zu verlangen, sich auf Straßen und Plätzen nur noch mit nach außen erkennbarem Personalausweis zu bewegen, so wenig kann dies im öffentlichen Raum Internet gelten, wo Menschen auf vielfältige Weise kommunizieren, sich informieren und kennen lernen. Die Aufhebung jeglicher Anonymität im Netz würde in erheblicher Weise in einen neuen Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifen und die Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht stellen.

Und schließlich stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Umsetzbarkeit von Friedrichs Vorschlag. Ein Innenminister, der seine Untätigkeit bezüglich zeitgemäßer Datenschutzregelungen in Deutschland bisher mit dem Hinweis auf die „Globalität des Internets“ gerechtfertigt hat, möchte nun weltweit die Möglichkeit der Anonymität im Internet aufheben. Das ist kein ernstzunehmender Vorschlag!

So verständlich es also ist, angesichts der schrecklichen Tat von Norwegen politische Antworten zu finden, so wenig hilft der Vorschlag des Bundesinnenministers diese zu finden. Er ist Ausdruck eines tiefsitzenden Unverständnisses gegenüber dem Internet und seiner grundlegenden Bedeutung für die Gesellschaft und Demokratie.

Der Bundesinnenminister ist damit nur einen Wimpernschlag von der bestenfalls lächerlichen These entfernt, die Tat von Norwegen sei „im Internet geboren“. Diese Politik dient weder einer zeitgemäßen und bürgerrechtsorientierten Auseinandersetzung mit dem Internet noch der Sicherheit in unserem Land.

Category
Tags

Comments are closed

Archive