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Abstimmung über Zentralregister EU plant Vorratsdatenspeicherung für Reisende

Kreditkartennummern, Namen, Essenswünsche: Großbritannien und andere europäische Staaten wollen Hunderte Millionen Fluggastdaten in einem Zentralregister speichern und zu einer Art Rasterfahndung nutzen. Selbst EU-Juristen zweifeln an der Verhältnismäßigkeit.
Reisender am Flughafen: Name, Adresse, Sitznummer sollen ins Zentralregister

Reisender am Flughafen: Name, Adresse, Sitznummer sollen ins Zentralregister

Foto: Tobias Hase/ picture alliance / dpa

Man spricht neuerdings Oxford-Englisch auf den Fluren des Europaparlaments. Diplomaten, Lobbyisten und andere Abgesandte der Londoner Regierung suchen in diesen Tagen wankelmütige EU-Abgeordnete auf. Sie schwärmen ihnen vor von der Sammlung von Millionen Fluggastdaten, die Großbritannien seit Jahren zur Fahndung nach Terroristen nutzt. Und dann versuchen sie die Parlamentarier zu überreden, die britische Vorratsdatenspeicherung samt Rasterfahndung auf ganz Europa auszuweiten - trotz aller Bedenken der Daten- und Verfassungsschützer.

Am Mittwoch stimmt der Innenausschuss des Parlaments über das umstrittene Sicherheitsprojekt der EU ab. Kommission und die Innenminister der Mitgliedstaaten wollen Fluggesellschaften zwingen, bei allen Flügen über die EU-Außengrenzen hinweg umfassende Daten zu jedem Passagier an die Behörden zu übermitteln. Die sogenannten PNR-Daten (Passenger Name Record) umfassen unter anderem Namen, Adresse, sämtliche Kontaktinformationen, Essenswünsche, Kreditkartennummern oder Bankverbindungen. Die Daten sollen bis zu fünf Jahre lang in zentralen Datenbanken gespeichert und mit "Gefährderprofilen" abgeglichen werden.

Peter Schaar: "Das ist wie eine Rasterfahndung"

Es geht um eine gigantische Vorratsdatenspeicherung: Jährlich überqueren rund 500 Millionen Fluggäste die EU-Grenzen. Datenschützer warnen vor einem Dammbruch, einem Meilenstein auf dem Weg zur Totalüberwachung. "Hier geht es um die anlasslose Erfassung und jahrelange Speicherung Hunderter Millionen Datensätze unbescholtener Bürgerinnen und Bürger, aus denen sich Bewegungsprofile ableiten lassen", sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. "Das ist wie eine Rasterfahndung."

"Alle, die in ein Flugzeug steigen, kommen ins Fadenkreuz", kritisiert Jan-Philipp Albrecht, Justizexperte der Grünen im EU-Parlament , "und sei es, weil man einen ausländisch klingenden Namen hat oder in Länder wie Iran reist."

Neu ist die Idee nicht. Die USA sammeln schon seit den Attentaten des 11. September systematisch Fluggastdaten. 2012 schlossen sie mit der EU 2012 ein neues PNR-Abkommen, das Europas Fluglinien verpflichtet, Washingtons Fahndern bei all ihren US-Flügen die Daten zu übermitteln.

US-Rasterfahndung warnt vor Babys

Gerade konservative EU-Politiker wollen sich nun selbst so ein System gönnen. Dann "müssen wir uns nicht länger darauf verlassen, dass uns andere Länder Geheimdienstdaten geben", sagt Timothy Kirkhope. Der früherer britische Innen-Staatssekretär, ein Parteigenosse von Premier David Cameron, ist nun selbst Europaabgeordneter - und Berichterstatter des Parlaments für das EU-PNR. Das System habe zur Verhaftung "Dutzender Mörder, Pädophile und Vergewaltiger geführt", behauptet Kirkhope.

Tatsächlich ist der Nutzen des Systems fraglich. Gerade im Anti-Terror-Kampf häufen sich die Pannen. In den USA etwa schlug der Computer kürzlich bei einem 18 Monate alten Baby Alarm. Die sehr jugendliche Terrorverdächtige durfte nicht an Bord. Andere hingegen sehr wohl: Umar Abdulmutallab etwa, der "Unterhosenbomber" von Detroit. Der mutmaßliche Boston-Attentäter Tamerlan Zarnajew konnte 2012 unbemerkt vom FBI in die kaukasische Konfliktregion Dagestan fliegen, obwohl gegen ihn bereits ermittelt wurde. Grund: Jemand hatte offenbar seinen Namen falsch geschrieben.

Der juristische Dienst der EU-Innenminister hat Bedenken

Gegner der Rasterfahndung über den Wolken - wie der Abgeordnete Albrecht und Datenschützer Schaar - halten das Vorhaben für einen Verstoß gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht ließ 2010 im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten durchblicken, nun sei die Obergrenze für derartige Sammlungen praktisch erreicht. "Wird nun eine weitere Vorratsdatenspeicherung eingeführt, noch dazu über fünf Jahre, verstößt das in der Substanz gegen unsere Verfassung", sagt Schaar.

Auch der juristische Dienst der EU-Innenminister äußert Bedenken. Die "systematische und automatische Vorabverarbeitung [ist] äußerst problematisch, was die Verhältnismäßigkeit betrifft", warnten die Rechtsexperten ihre Minister schon 2011 in einem vertraulichen Gutachten, das SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Bei einigen EU-Abgeordneten kippt die Stimmung

Anfangs waren die meisten Parlamentarier gegen das EU-PNR; nun aber kippt die Stimmung. "Viele sind von den Regierungen so bearbeitet worden, dass sie Angst vor der eigenen Courage kriegen", sagt Grünen-Vertreter Albrecht. Die Risse gehen quer durch die drei größten Fraktionen: Christdemokraten, Sozialisten, Liberale. Manfred Weber (CSU), der Innenexperte der Union, plädiert für einen Mittelweg: Jeder Mitgliedstaat soll frei wählen, ob er PNR-Daten erfasst. Brüssel solle Datenschutzstandards und technische Rahmenbedingungen vorgeben; ein einheitliches EU-System werde es aber nicht geben.

Der britische EU-Abgeordnete Kirkhope und seine Regierung lehnen solche Kompromisse ab. Im Gegenteil: Sie wollen künftig auch innereuropäische Flüge durchleuchten, und sie haben Staaten wie Frankreich und Spanien auf ihre Seite gezogen. Ob sich die britischen Hardliner damit durchsetzten, wird die Abstimmung am Mittwoch zeigen.