Die Spähaffäre der Geheimdienste zeigt: Jeder Bürger muss genau abwägen, welche persönlichen Daten er wo herausgibt

Seit vor drei Wochen die ersten Enthüllungen über die massenhafte Überwachung des Kommunikationsverkehrs durch den US-Geheimdienst NSA im Rahmen des sogenannten Prism-Programms erschienen sind, tobt eine Debatte über den Umgang mit Grundrechten in einer digitalisierten und globalisierten Welt.

Dabei wissen wir: Es sind nicht nur die USA, die Grenzen überschritten haben. Auch der britische Geheimdienst und wohl auch die anderen EU-Staaten haben sich an den Grundfesten des Rechtsstaats vergangen. Das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Volkszählung 1983 als Ausdruck von Würde und Persönlichkeit des Menschen aus dem Grundgesetz herausgelesen hat, gehört heute zur EU-Grundrechtecharta und zur Europäischen Menschenrechtskonvention, ebenso das Post- und Fernmeldegeheimnis und der Schutz vor willkürlichen Eingriffen durch staatliche Behörden.

All dies sind fundamentale Grundlagen unserer rechtsstaatlichen Demokratie, wie wir und unsere Vorfahren sie nach zahlreichen Diktaturen, Schreckensherrschaften und Kriegen in Europa erkämpft haben.

Doch das Gefühl für diese Werte scheint nicht nur bei unseren transatlantischen Partnern, sondern auch in Europa verloren gegangen zu sein. Die Massivität, mit der gegen Verfassungs- und Vertragsbestimmungen sowie höchstrichterliche Urteile verstoßen wird, ist unbegreiflich.

Vor wenigen Jahren hat das Bundesverfassungsgericht die sechsmonatige Speicherung von Kommunikationsdaten im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung als verfassungswidrig verworfen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat klare Grenzen für anlasslose Überwachung gezogen.

Eine Ermittlungstätigkeit ins Blaue hinein verstößt schlichtweg gegen den Schutz der Menschenrechte. Dennoch arbeiten die EU-Kommission und Innenministerien der EU-Staaten weiter an großflächigen Überwachungsprogrammen.

Nahezu ohne politische Führung und öffentliche Kontrolle wird unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung eine Politik verfolgt, die Menschen generell unter Verdacht stellt und meint, uns quasi an unserer Nase ablesen zu können, ob wir eine Gefahr für die Sicherheit sind. Wenn sich die Stimmen in der Politik gegen Massenüberwachung durch Geheimdienste jetzt mehren, dann ist das ein gutes Zeichen für den Rechtsstaat und die Demokratie. Nun müssen klare gesetzgeberische Grenzen gesetzt werden.

Gerade wenn es um diese Grenzen geht, sind viele Politiker heute ratlos. Denn ihnen fällt auf, dass sie über Jahre die Kontrolle abgegeben haben an weltumspannende IT-Konzerne oder verselbstständigte Geheimbehörden, die ihre Regeln nach eigenen Maßstäben und Interessen selbst setzen. Es wäre nun zuvorderst die Aufgabe der Abgeordneten in den Parlamenten Europas, sich dem Schutz der rechtsstaatlichen Grundsätze und der Grund- und Menschenrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger zu widmen. Die Datenschutzreform der Europäischen Union bietet dazu einen passenden Ansatz.

Es braucht endlich wieder das, was das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1983 als die Kontrolle der Einzelnen über ihre personenbezogenen Daten herausgestellt hat, übrigens schon damals ausdrücklich ohne Unterscheidung zwischen privatwirtschaftlicher oder staatlicher Datenverarbeitung oder Überwachung. Denn wenn Prism und Tempora eines gezeigt haben: Wer die Daten von uns verarbeitet, ist heute komplett unerheblich. Wichtig ist, ob wir sie überhaupt herausgeben wollen und unter welchen Bedingungen.

Jan Philipp Albrecht, 30, ist innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen Europafraktion

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ erscheint während der Bundesliga-Sommerpause nicht wöchentlich an dieser Stelle. Im Internet finden Sie „Matz ab“ jedoch weiterhin täglich unter www.abendblatt.de/matz-ab