Ganz Europa redet von Überwachung, Spionage und Snowden. Doch Kämpfe für die Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat werden auch abseits der medialen Aufmerksamkeit geführt. Jan Philipp Albrecht ist innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament und führt die Verhandlungen für eine neue Datenschutzverordnung in Europa.
der Freitag: Herr Albrecht, was bringt die geplante Datenschutzverordnung überhaupt?
Jan Philipp Albrecht: Die Datenschutzverordnung soll die Regeln zum Datenschutz in Europa vereinheitlichen, um zum Beispiel gegen Unternehmen wie Google oder Facebook vorgehen zu können, die von außen auf den europäischen Markt kommen und sich nicht an europäisches oder deutsches Datenrecht
t kommen und sich nicht an europäisches oder deutsches Datenrecht gebunden fühlen.Aber es gibt doch schon Gesetze zum Datenschutz?Das Grundproblem ist, dass die große Masse an Datenverarbeitung von Internetunternehmen mittlerweile gar nicht mehr unter das deutsche Datenschutzrecht fällt. In den meisten Fällen befindet sich deren Hauptniederlassung in Irland oder in Großbritannien, weil dort der Datenschutz und dessen Durchsetzung schwächer sind. Deswegen ist es unumgänglich, dass wir unsere europäischen Partner durch Europarecht darauf festnageln, den deutschen Datenschutzstandard und den, den wir auch in Europa als Grundrecht erwarten, durchzusetzen: mithilfe der EU-Datenschutzverordnung.Soll auf der ganzen Welt dann deutsches Datenschutzrecht gelten?Da wir einen digitalen und damit grenzübergreifenden Markt haben, können wir auch nicht mehr erwarten, dass das deutsche Datenschutzrecht angewendet wird. Aber wir können erwarten, dass auf einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt gleiche Regeln gelten und dass die auch nach außen geschützt werden. Genauso wird es ja auch im Wettbewerbsrecht gehandhabt. Auf das Datenschutzrecht übertragen bedeutete dies: Wenn Unternehmen von außen auf den europäischen Markt kommen und die Daten von Europäern verarbeiten wollen, dann müssen sie sich an die Regeln auf dem europäischen Markt halten, ansonsten werden sie sanktioniert.Auch die Überwachung durch Geheimdienste ist kein nationales Problem. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, hat vergangene Woche eine Erweiterung des UNO-Paktes Artikel 17 für bürgerliche und politische Rechte gefordert, um internationale Standards zu setzen. Halten Sie das für realistisch?Das würde ich unterstützen. Auf Grundlage dieses Paktes wäre es möglich, grundlegende Verstöße gegen den Schutz der Privatsphäre international durchzusetzen. Über diesen Vertrag sollte man auch die ganzen Überwachungsmaßnahmen der USA vor dem Internationalen Gerichtshof sanktionieren. Aber ich glaube nicht, dass wir uns transatlantisch von heute auf morgen über einen gleichwertigen Datenschutz einigen werden. Da ist der Unterschied in der Wahrnehmung immer noch sehr groß. In den USA zum Beispiel gibt es überhaupt keine Datenschutzregeln für den Privatbereich, das heißt Unternehmen können im Grunde machen was sie wollen, außer sie verpflichten sich im Rahmen einer Selbstregulierung. Wir können aber nicht warten, bis die USA sich irgendwann dazu durchringen können, ihren Datenschutz nach europäischen Vorbild einzuführen, sondern wir müssen jetzt und heute dafür sorgen, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger geschützt bleiben. Deswegen braucht es jetzt diese EU-Datenschutzverordnung.Auf Ebene der Vereinten Nationen sehe ich das noch lange nicht. Das sieht man am Beispiel der UN-Organisation für Internationale Kommunikation: Da wird nicht der Datenschutz vorangetrieben, sondern im Gegenteil überlegt, wie man alle Kommunikationsinhalte durchforstet, nicht nur zum Zwecke der Spionage, sondern zum Zwecke der ganz normalen Rechtsdurchsetzung im Internet. Das ist völlig unvereinbar mit den Vorstellungen, die wir von einer rechtsstaatlichen Demokratie und den Menschenrechten haben.Was kann der Einzelne überhaupt bewirken gegen die großen Entscheidungsträger auf der politischen Ebene?Ohne zivilgesellschaftliche Bewegungen, die sich vor allem auch europäisch und international vernetzt, wird es keine starke Regulierung von Grundrechten und Verbraucherrechten im digitalen und globalisierten Umfeld geben. Man muss sich nur Projekte und Initiativen wie ’Open Data City’ oder ’Europe vs. Facebook’ anschauen, die sehr genau nachzeichnen, welchen genauen Einfluss Lobbyisten auf EU-Abgeordnete nehmen.Sehen Sie trotz der derzeitig düsteren Bestandsaufnahme also noch Hoffnung auf Besserung?Die derzeitige mediale Aufmerksamkeit liefert uns ein Fenster der Möglichkeiten, in der die Zivilgesellschaft auf das europäische politische System echten Druck ausüben kann, im Sinne einer Stärkung der Bürgerrechte. Wenn wir dieses Fenster jetzt nicht nutzen, vergeben wir eine historische Chance, unsere Rechte aktiv zu schützen.