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EU-Vergleich Deutschland hat mehr Niedriglöhner als Zypern und Bulgarien

Fast ein Viertel aller Beschäftigten hat im Jahr 2010 im Niedriglohnsektor gearbeitet: Von 17 untersuchten EU-Staaten herrschte nur in Litauen eine noch größere Lohnungleichheit als in Deutschland.

Fast jeder vierte Beschäftigte arbeitet in Deutschland für einen Niedriglohn von weniger als 9,54 Euro pro Stunde. Ihr Anteil an allen Beschäftigten war im Jahr 2010 mit 24,1 Prozent so groß wie in kaum einem anderen Staat der Europäischen Union. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie. Unter den 7,1 Millionen Beziehern von Niedriglöhnen hierzulande sind Geringqualifierte fast die Ausnahme: Mehr als 80 Prozent der Geringverdiener in Deutschland hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung. Besonders hoch sei der Anteil der Niedriglöhner bei Frauen und Teilzeitbeschäftigten.

Von den 17 untersuchten EU-Staaten weist demnach nur Litauen eine noch größere Lohnungleichheit als Deutschland auf. Zypern und Bulgarien stehen besser da. Am geringsten ist die Niedriglohnquote mit rund zehn Prozent in Dänemark.

Die Niedriglohnschwelle ist dabei in jedem Land unterschiedlich hoch: Sie reicht von 1,08 Euro in Bulgarien bis 15,80 Euro in Dänemark. Als Niedriglöhner gilt, wer weniger als zwei Drittel des nationalen mittleren Lohns verdient. Der nationale mittlere Lohn wird so ermittelt, dass die eine Hälfte aller Beschäftigten mehr und die andere Hälfte weniger verdient.

IAB-Studie

Folgende Länder wurden in der Studie untersucht: Litauen, Deutschland, Zypern, Bulgarien, Großbritannien, Polen, Slowenien, Ungarn, Österreich, Niederlande, Griechenland, Schweden, Frankreich, Italien, Belgien, Finnland und Dänemark. (In zunehmender Reihenfolge der herrschenden Lohnungleichheit)

Tendenziell sind Niedriglöhne in Ländern mit hoher Tarifabdeckung weniger verbreitet als in solchen mit stark dezentralisierter Lohnfindung.

Druck auf Arbeitslose gestiegen

Seit Mitte der 90er Jahre seien die Zahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor und ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung in Deutschland deutlich gestiegen, heißt es in der Analyse des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Für das oft vorgebrachte Argument, mehr Niedriglohnsjobs sorgten für höhere Beschäftigung, weil auch Arbeitskräfte mit Handicaps eher eine Chance bekämen, fand der Autor Thomas Rhein keinen Beleg. Im Gegenteil, die Erwerbstätigenquote gehe mit wachsendem Niedriglohnsektor sogar leicht zurück. "Dies würde dafür sprechen, dass eine erhöhte Lohnspreizung keine zwingende Voraussetzung für dauerhafte Erfolge am Arbeitsmarkt ist", erklärte IAB-Experte Rhein.

Ein wichtiger Grund für die steigende Lohnungleichheit in Deutschland sei, dass immer weniger Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben arbeiten. In individuellen Lohnvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer komme es häufiger zu niedrigen Stundenlöhnen, heißt es in der IAB-Studie. Während 1996 im Westen Deutschlands noch 70 Prozent der Arbeitnehmer in tarifgebundenen Betrieben beschäftigt waren, lag ihr Anteil 2012 nur noch bei 53 Prozent.

Mindestlohn kein Heilmittel

Auch die Arbeitsmarktreformen seit der Jahrtausendwende könnten zur Ausweitung der Niedriglohnbeschäftigung beigetragen haben. Deregulierung der befristeten Beschäftigung und der Leiharbeit, Einführung der Minijobs und Hartz IV hätten den Arbeitsmarkt flexibilisiert und den Druck auf Arbeitslose erhöht, auch gering entlohnte Arbeit anzunehmen, heißt es in der Studie. Dieser Erklärungsansatz könne aber "nur teilweise überzeugen", da das Wachstum der Niedriglohnbeschäftigung schon in der zweiten Hälfte der 90er Jahre eingesetzt habe.

Vor einem Niedriglohn schützt demnach auch ein gesetzlicher Mindestlohn nicht. In zehn der 17 untersuchten Länder habe es 2010 fächendeckende Mindestlöhne gegeben. "In der Mehrzahl sind dies Länder mit einer relativ großen Lohnungleichheit", stellte Rhein fest. Ein Grund dafür sei, dass die Mindestlöhne in allen Ländern bis auf Frankreich unter der Niedriglohnschwelle lägen. Auch der von SPD, Grünen und Gewerkschaften geforderte gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro läge unter der deutschen Niedriglohnschwelle des Jahres 2010.

vim/Reuters Reuters

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