Meine Mutter war viele Jahre lang Mitglied des Stadtrats, sie kennt sich also aus in der Politik. Weniges rege die Leute so auf wie ein neues Verkehrsschild, sagt sie gern. Und tatsächlich verschwand in meiner Kindheit ein paar Mal ein Rechtsabbieger-Schild ganz in der Nähe unseres damaligen Hauses in Iserlohn-Sümmern. Über den Sinn oder (aus Sicht der Diebe) Unsinn des Schildes wurde dann auch heftig diskutiert, sogar in der Lokalzeitung.

Heute ist das nicht anders: Sind wir nicht alle kleine und manche sogar große Verkehrsexpertinnen, die wissen, wie der Verkehr besser geregelt werden könnte, wer mehr Rechte auf der Straße bekommen sollte? Besonders heftig wird inzwischen darüber gestritten, wer mehr vom knappen Platz in den Städten bekommen sollte. Brauchen wir noch mehr Straßen? Oder mehr Platz für Radwege? Mehr Fußgängerzonen?

Die Grünen machen in dieser Debatte nun einen sehr konkreten Vorschlag mit großem Erregungspotenzial. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar wird gemeinsam mit seiner Bundestagsfraktion einen Antrag in den Bundestag einbringen, der den Umgang mit dem öffentlichen Raum in den Städten verändern soll. Das Parken soll nur noch dort möglich sein, wo es explizit erlaubt ist. Der Antrag mit dem Titel "Parkraummanagement zu einem wirkungsvollen Handlungsfeld der Verkehrswende entwickeln" liegt der ZEIT vor. Darin heißt es: "Der städtische Verkehr der Zukunft wird von außen, also vom Fußweg angefangen, nach innen, also zur Fahrspur hin, geplant. Durch die veränderte Raumaufteilung auf Geh-, Radwegen und Busspuren entsteht so ein attraktives Angebot umweltfreundlicher Verkehrsmittel."

Wer darf den öffentlichen Raum besetzen?

Die Grünen versuchen mal wieder, uns das Autofahren zu vermiesen – das wäre ein möglicher Reflex auf diese Idee, aber auch ein ziemlich dämlicher. Denn es geht bei dem Antrag im Grunde um Gerechtigkeit, also um viel mehr. Es geht darum, grundsätzlich neu zu klären, wer den öffentlichen Raum in den Städten besetzen darf und wer dafür bezahlen soll.

In den letzten Jahrzehnten wurde diese Frage stillschweigend beantwortet. Seit 1945 dürfen in Deutschland Autos im öffentlichen Raum abgestellt werden, wenn es nicht ausdrücklich verboten ist. Das war kein Problem, solange es nur wenige Autos gab. Es wurde aber immer ärgerlicher, je mehr die Zahl der zugelassenen Wagen wuchs. Heute gibt es pro 1.000 Einwohner in Deutschland 575 Autos, es passen also alle Menschen dieses Landes auf den Vordersitz eines Autos. Die Babys mitgezählt.

Die Folgen sind vor allem in den Städten unübersehbar: Heute sind dort große Teile des öffentlichen Raums von Autos belegt und das kostet die Pendlerinnen im europäischen Vergleich herzlich wenig, die Anwohner oft fast nichts. Nur, warum ist das so? Und warum sollte es so bleiben?

"Wenn ich am Straßenrand einfach meinen Schrank abstelle, protestieren die Leute natürlich. Wenn ich mein Auto da abstelle, finden das alle normal. Aber das ist eben nicht normal", sagt der Verkehrsforscher Andreas Knie und hat damit das verrückte Denken, das wir alle so selbstverständlich verinnerlicht haben, ganz wunderbar entlarvt. Warum noch mal finden wir es normal, dass jeder sein Auto auf öffentlichem Grund abstellen darf, aber keine Parkbank, keinen Sandkasten?