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Führt Tempo 30 zu gesünderer Luft?

© Foto Markus Führer/dpa

Exklusiv

„Nicht erforderlich und nicht sinnvoll“: Scheuers Verkehrsministerium lehnt Tempo 30 in Ortsgebieten ab

Fußgänger seien der Bundesregierung „völlig egal“. So das Fazit von drei Grünen-Politikern. Sie hatten der Behörde 38 Fragen zu Änderungen der StVO gestellt.

Von Christian Hönicke

Das Bundesverkehrsministerium lehnt Tempo 30 innerorts zur Erhöhung der Verkehrssicherheit entschieden ab. Eine Absenkung der Regelgeschwindigkeit in Gemeinden von Tempo 50 ist nach Einschätzung der Behörde von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) „nicht erforderlich und nicht sinnvoll“.

Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar, Daniela Wagner und Matthias Gastel an die Bundesregierung hervor. Tempo 30 innerorts fordern unter anderem die Weltgesundheitsbehörde WHO, das Umweltbundesamt und auch die Partei der Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne).

Die Senatorin selbst steht einem generellen Tempolimit in Berlin offiziell wohlwollend gegenüber. „Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts hätte aus Sicht der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz viele Vorteile“, teilte Günthers Sprecher Jan Thomsen Anfang des Jahres mit.

In der Praxis will Berlins Verkehrsverwaltung Tempo 30 jedoch weiterhin nur dort auf Hauptstraßen anordnen, wo es "sinnvoll" sei. So wurde die Invalidenstraße erst nach dem schweren SUV-Unfall 2019 zur Tempo-30-Strecke.

Die Anfrage der Grünen wollte in 38 Fragen mit vielen Unterpunkten das Engagement der Bundesregierung und des Verkehrsministeriums beim Thema Fußverkehr beleuchten. Das Fazit: „Die Bundesregierung ist in Sachen Fußverkehr planlos – was ihr jedoch völlig egal ist“, kritisiert der Berliner Bundestagsabgeordnete Gelbhaar.

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Er verweist darauf, dass seit 2015 in Deutschland 2550 Fußgänger getötet wurden. „Das sind extreme Zahlen“, sagte Gelbhaar. Die Bundesregierung sehe hier jedoch offenbar „kein Problem. Das Verkehrsministerium drückt mit jeder Zeile aus: Die Straße ist für Verkehr da und Verkehr meint Autoverkehr.“

Auf die Frage, wann die von der Bundesregierung angekündigte „Fußverkehrsstrategie“ bekannt gegeben werde, nannte das Verkehrsministerium kein Datum. Derzeit würden „konzeptionelle Vorarbeiten“ dafür erledigt. Auch auf die Frage, welche Ziele denn in der „Fußverkehrsstrategie“ durch die Bundesregierung definiert würden, hatte das Ministerium keine Antwort.

Stattdessen verteidigte Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann den Status Quo der Straßenverkehrsordnung (StVO). Auf Fragen, ob denn die Straßenverkehrsordnung hinsichtlich der Sicherheit für Fußgänger noch einmal novelliert werde, ob es etwa Pläne gebe, das Halteverbot an Kreuzungen auszuweiten oder die Einrichtung von Straßenquerungen zu erleichtern, teilte er knapp mit, entsprechende Vorschläge würden „geprüft“, aber „eine weitere Novelle der StVO mit Änderungen im Bereich des Fußverkehrs ist (…) nicht vorgesehen“.

Fußgänger kommen in der Erklärung des Ministeriums kaum vor

Die Frage der Einführung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts beantwortete das Ministerium ausführlicher. Eine Erleichterung der Anordnung von Tempo 30 für Kommunen oder „gar die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses hin zu einer Regelgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts (…) ist nicht erforderlich und im Hinblick auf die Verkehrsfunktion der Straße auch nicht sinnvoll“.

Die Begründung dafür: „Die jetzige Rechtslage ermöglicht es den zuständigen Behörden, im Wege einer flächendeckenden Verkehrsplanung ein leistungsfähiges Vorfahrtstraßennetz festzulegen, das insbesondere den Bedürfnissen des Wirtschaftsverkehrs und des öffentlichen Personennahverkehrs entspricht.“ Fußgänger kommen in der Sicht des Verkehrsministeriums auf diesen Straßen nicht vor, lediglich in reinen Wohnvierteln. Und Tempo 50 auf Hauptstraßen würde „den Kfz-Verkehr aus Wohnstraßen fernhalten“.

Auch sonst sieht das Verkehrsministerium keinerlei Bedarf für eine fußgängerfreundlichere StVO. Ob die Bundesregierung die Ausweisung verkehrsberuhigter Zonen erleichtern wolle? Ein Änderungsbedarf sei hier „nicht ersichtlich“. Gibt es Pläne, den Fußgängern bei der Querung von Kreuzungen Vorrang einzuräumen? „Eine Änderung der Rechtslage ist derzeit nicht vorgesehen.“

Soll das Exklusivrecht der Fußgänger auf Gehwege detailliert in der StVO festgeschrieben werden (bisher wird dort nur definiert, das Fahrzeuge auf Straßen zu fahren haben)? „Änderungen sind (…) nicht vorgesehen.“

Für Fußgänger gibt es keine eigene Abteilung

Die wenig fußgängeraffine Sicht ist allerdings kaum überraschend. Schließlich teilt das Verkehrsministerium ebenfalls mit, dass es noch nicht einmal eine eigene Abteilung für die am häufigsten genutzte Verkehrsform in Deutschland gibt. Das Thema Fußverkehr wird laut Antwort von den Referaten „Bundesfernstraßen“, „Straßenverkehr“, „Grundsatzangelegenheiten“, „Digitale Gesellschaft“ und „Radverkehr, Straßensicherheit“ bearbeitet.

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Seit April gilt, dass abbiegende Lkw Schrittgeschwindigkeit fahren müssen. Auf die Frage, ob das nicht auch für Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen sinnvoll wäre, antwortete das Verkehrsministerium, ein „Regelungsbedarf“ sei hier „nicht gegeben“.

Tempo 30 innerorts, bessere Sichtbeziehungen zwischen Autofahrer und zu Fußgängern, die Vermeidung von Abbiegeunfällen oder die deutlich leichtere Einrichtung von Zebrastreifen seien „längst überfällige Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit“, kritisiert Gelbhaar. Doch das Verkehrsministerium zeige sich hier ganz deutlich als „Hardliner“, das den schnellen Verkehr bevorzuge: „Die Anliegen zu Fußgängerinnen und Fußgänger sind nachrangig und müssen warten.“

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