Demokratie und Mitbestimmung

FAQ Wahlrechtsreform

Das Parlament soll vielfältiger, jünger und weiblicher werden.  Das ist das Ziel der Reform des Landtagswahlrechts. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Aktueller Stand

Beim Landtagswahlrecht machen Grünen, CDU und SPD und gemeinsame Sache: Das Dreierbündnis will die Wahlrechtsreform in Baden-Württemberg voranbringen.  Plan ist,  Anfang November einen gemeinsamen Gesetzestext zu beschließen.  Anschließend wollen die drei Fraktionen einen gemeinsamen Entwurf im Landtag einreichen. 

„Ein Parlament, das jünger, vielfältiger und weiblicher wird - das haben wir versprochen, und das werden wir liefern. Ich bin überzeugt und erfreut, dass wir im Dreiergespann mit Konsequenz und Tempo nun das Wahlrecht zügig ändern können“,  sagt Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz .  

Der Gesetzentwurf mit Begründung ist bereits ausgearbeitet.  Nun sollen die letzten rechtlichen Details eingearbeitet werden, so dass die Fraktionen die Gesetzesvorlage nach den Herbstferien beschließen können. 

I. Eckpunkte für die Umsetzung

1) Abschaffung von Altersgrenzen:

▪ Das Wahlalter auf Landesebene soll auf Sechzehn sinken. Dies gilt auch für Volksbegehren, Volksanträge und Volksabstimmungen. Das passive Wahlalter zum Landtag wird bei 18 Jahren belassen.

2) Einführung einer Zweitstimme mit geschlossenen Landeslisten:

▪ Mit der Erststimme wird die Direktkandidatin oder der Kandidat des jeweiligen Wahlkreises, über die Zweitstimme eine Landesliste gewählt.

▪ Es bleibt bei den 70 Wahlkreisen und somit bei 70 Direktmandaten sowie den in der Landesverfassung vorgesehenen 50 weiteren Mandaten. Ein Neuzuschnitt der Wahlkreise soll in dieser Reform nicht stattfinden, um die Reform möglichst schlank und übersichtlich zu halten.

▪ Mit der Erststimme wählt man eine Wahlkreiskandidatin oder einen Kandidaten. Die Gewinnerin oder der Gewinner des Wahlkreises zieht direkt in den Landtag ein.

▪ Über die Wahl der Landeslisten wird die verhältnismäßige Besetzung des Parlaments bestimmt. Zunächst werden die einer Partei zustehenden Sitzplätze mit den Direktkandidierenden besetzt.  Alle gewählten Direktkandidierenden werden in der Sitzverteilung - ggf. durch Überhangmandate - berücksichtigt. Im zweiten Schritt werden die restlichen Plätze sowie etwaige Ausgleichmandate über die Landesliste aufgefüllt.

▪ Es wird nur eine Landesliste pro Partei aufgestellt.

▪ Es findet nur eine geschlossene landesweite Auszählung statt. Die Unterteilung in Regierungsbezirke wird somit aufgegeben. Damit fällt auch der Ausgleich zwischen den Regierungsbezirken, der bislang zu mehr Ausgleichssitzen geführt hat, weg.
 

II. Fragen und Antworten

Wie sehen die parlamentarischen Voraussetzungen aus?
- Für die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre braucht es eine Verfassungsänderung. Hierfür ist eine Mehrheit von 2/3 der Parlamentarier, mindestens aber der Hälfte der Mitglieder des Parlaments erforderlich.

- Alles andere kann mit einfacher Mehrheit geregelt werden. Zum guten Ton gehört, dass wir die demokratischen Oppositionsparteien einbeziehen.

Führt die Wahlrechtsreform zwingend zu einer gleichen Aufstellung von Frauen und Männer im Landtag?
- Die Einführung eines Listenwahlrechts schafft die Grundlage für eine paritätische Aufstellung, die die Parteien dann vornehmen können.

- Durch die Einführung der Listen haben die Parteien erstmals die Möglichkeit, die Aufteilung nicht dem Zufall zu überlassen, sondern Listen bewusst paritätisch zu besetzen.

- Wir Grüne stellen unsere Listen ja paritätisch auf und haben mit der paritätischen Besetzung der Wahllisten den höchsten Frauenanteil in den Parlamenten und kommunalen Gremien.

- Aber auch die anderen Parteien haben in den anderen Ländern und im Bund eine deutlich bessere Frauenquote als in Baden-Württemberg.

Welche Möglichkeiten hat der Gesetzgeber, die paritätischen Listen der Parteien vorzuschreiben?
- Aufgrund der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte in Brandenburg und Thüringen und unter Wissenschaftler*innen verbreiteten Auffassung wäre es riskant, dass auf Landesebene zu regeln. Daher müsste das Grundgesetz geändert werden.

Welche Parteien würden vom neuen Wahlrecht eher profitieren?
- Das kann man so pauschal nicht sagen. Durch das Listenwahlrecht profitiert keine Partei, da das noch nicht zu Verschiebungen in der Mandatszuteilung führt. Das bedeutet: Es ändert nichts an der Zahl der Sitze der Parteien.

- Bisher ist es so, dass in der Zweitauszählung jene Kandidierenden zum Zuge kommen, die im Verhältnis zu den übrigen Wahlkreisbewerbern ihrer Partei im betreffenden Regierungsbezirk am besten abgeschnitten haben. Im Falle einer Wahlrechtsreform würde diese Praxis beendet. Anstelle einer Zweitauszählung würde dann die geschlossene Landesliste herangezogen werden.

- Bei einem Zweistimmenwahlrecht könnten Wählerinnen und Wähler sowohl für den Spitzenkandidaten der einen Partei, aber auch den Abgeordneten der anderen Partei votieren. Durch die Einführung des Zweistimmen-Wahlrechts profitieren somit vor allem die Wählerinnen und Wähler. Sie erhalten so mehr Optionen.

Wie würde die neue Mandatsbesetzung aussehen?
- Anstelle einer Zweitauszählung würde die Besetzung über die Listen erfolgen.

- Das bedeutet: Um garantiert ins Parlament einzuziehen, müssten Kandidatinnen und Kandidaten den Wahlkreis gewinnen - oder einen sicheren Listenplatz ihrer Partei ergattern.

- Sie könnten sich folglich nicht mehr wie bisher auf das relativ gute Ergebnis im Regierungsbezirk verlassen.

Wie stellt man sicher, dass nicht ganze Regionen ohne Abgeordneten dastehen?
- Jeder Wahlkreis wird mit einem Direktmandat vertreten sein.

- Im Übrigen liegt es in der Verantwortung der Parteien, bei der Besetzung der Listen auch eine Repräsentanz der Regionen sicher zu stellen. Hier liegt aber auch die Stärke der Liste: Regional-, Geschlechter-, Altersproporz und andere Fragen können Berücksichtigung finden.

Sorgt ein Listenwahlrecht für eine Vergrößerung des Landtags?
- Nein. Denn im Auszählverfahren ändert sich nichts. Wäre dasselbe Wahlergebnis rausgekommen wie 2021, wäre der Landtag nicht gewachsen. Dies hat eine Berechnung des Innenministeriums ergeben.

- Im Gegenteil: Eher besteht eine Chance zur Verkleinerung: Mit der Liste wechselt das System von vier Regionalauszählungen auf eine landesweite Auszählung. Das würde bedeuten, dass Überhang- und Ausgleichsmandate nicht in jedem Regierungsbezirk separat ausgerechnet und addiert, sondern nur einmal landesweit errechnet werden. Das kann somit zu einer Absenkung der Überhang- und Ausgleichsmandate führen.

Welche Auswirkungen hat die Einführung eines Zweistimmenwahlrechts?
- Das Zweistimmenwahlrecht gibt den Wählerinnen und Wählern mehr Handlungsmöglichkeiten. Wie sich ein geändertes Wahlverhalten auswirkt, ist schwer zu sagen - Eine Vergrößerung kann dann auch nicht ausgeschlossen werden.

Warum nicht gleich die Zahl der Wahlkreise mit der Reform senken?
- Eine grundsätzliche Reduzierung der Wahlkreise steht nicht auf der Agenda, da dadurch viel Bürgernähe verloren gehen würde.  

- Der Entwurf für die Änderung des Landtagswahlrechts liegt entscheidungsreif auf dem Tisch. Ein Gesetzentwurf mit Begründung ist ausgearbeitet. Er kann ins Parlament eingebracht werden.

- Klar ist: Wer das Parlament jünger, weiblicher und vielfältiger machen - und dabei schnell zur Sache kommen will -, sollte den vorliegenden Gesetzentwurf umgehend umsetzen.

Warum wird die Parität nicht direkt im Gesetz verortet?
- Wir sollten es nicht darauf ankommen lassen und sehenden Auges in eine Wahl laufen, die möglicherweise vom Landesverfassungsgericht aufgehoben wird.

- Bekanntlich haben die Verfassungsgerichte die Paritätsgesetze der Länder Brandenburg und Thüringen gekippt.

- Für ein Paritätsgesetz muss zunächst das Grundgesetz geändert werden - ohne diesen Schritt wäre ein Paritätsgesetz ein rechtlich zu riskantes Unterfangen.

Ließe sich das Zweistimmenwahlrecht von der Bundesebene auf das Land übertragen?
- Das Bundestagswahlrechts wäre nahezu 1:1 übertragen.

- Nur kleine Abweichungen sind vorgesehen: Während im Bund 16 Landeslisten existieren, ist es bei uns nur eine.

- Und wir garantieren im Gegensatz zum Bund, dass jeder Wahlkreis für die gesamte Legislaturperiode im Landtag vertreten ist, indem wir die Nachrücker-Regelung für ausscheidende Direktmandate anders gestalten.

- Vorgesehen ist: Alle Wahlkreiskandidierenden haben (im Unterscheid zum Bundestag) einen Ersatzkandidaten oder eine Ersatzkandidatin. Wie bisher rückt für ausscheidende Direktmandaten dann der Zweitkandidat oder die Zweitkandidatin nach.