Nach schweren Wahlverlusten übernehmen Parteivorsitzende und Spitzenkandidaten die Verantwortung und treten zurück. Das ist ein ungeschriebenes, wenn auch nicht immer befolgtes Gesetz in der Politik. So erklärten am Tag nach ihrem enttäuschenden Abschneiden der gesamte Vorstand und der Parteirat der Grünen geschlossen, ihre Ämter beim nächsten Parteitag im Oktober zur Verfügung zu stellen. Zu demoralisierend waren die Verluste am Wahlabend und das abermalige Scheitern von Rot-Grün gewesen, als dass die Führung einfach so hätte weitermachen können.

Es gibt allerdings auch Rücktritte, die nicht unbedingt so gemeint sind. Der von vielen in der Partei wegen seines gescheiterten Wahlkampfes gescholtene Spitzenkandidat Jürgen Trittin ließ nach Sitzungen der beiden Führungsgremien offen, ob er sich am Dienstag in der neuen Bundestagsfraktion noch einmal zur Wahl als Vorsitzender stellen wird. Er wolle den Abgeordneten nicht vorgreifen, sagte Trittin ausweichend. Dabei hatte der Spitzenkandidat noch am Freitag im Interview mit ZEIT ONLINE klargestellt, er werde sich am Ergebnis der Grünen bei der Bundestagswahl 2009 (10,7 Prozent) messen lassen. Es wurden dann 8,4 Prozent.

Trittin als bisheriger starker, linker Mann der Partei ist dennoch nicht bereit, einfach abzutreten, schon gar nicht nach den persönlichen Vorwürfen, die ihm in der Schlussphase des Wahlkampfs wegen der Unterstützung von Pädophilen-Positionen Anfang der achtziger Jahre gemacht wurden. Denn das würde für ihn in doppelter Hinsicht ein Schuldeingeständnis bedeuten.

Nach seiner Ansicht und auch der anderer Parteilinker gibt es erst mal auch keinen Anlass für einen Rückzug. Ursachen für die Verluste am Wahlabend werden eher in mangelhafter Kommunikation gesehen. Es sei nicht gelungen, im Wahlkampf die an sich richtigen Ziele rüberzubringen. Es sei zu technisch über das Steuerprogramm gesprochen worden, räumt eine führende Vertreterin des linken Flügels ein. Und bei der Energiewende habe man nur über Strompreise und das Erneuerbare-Energien-Gesetz geredet, nicht jedoch über den Klimaschutz.        

"Das Wahlprogramm war ein Fehler"

Vertreter des Realo-Flügels der Partei beurteilen das naturgemäß ganz anders. Das gesamte Wahlprogramm mit der Forderung nach Steuererhöhungen für Besserverdienende sei ein "schwerer Fehler" gewesen, wütet der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. "Der Versuch, die Grünen zur dritten linken Partei zu machen", sei gescheitert, sagte Palmer ZEIT ONLINE. Die wertorientierte bürgerliche Mitte, die seine Landespartei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg eroberte, habe man damit wieder verloren und sich die Wirtschaft und den Mittelstand zum Gegner gemacht. "Links haben wir nichts gewonnen, aber nach rechts haben wir annähernd genauso viel an die SPD wie an die Union verloren", folgert Palmer. Für ihn und andere Realos ist klar, wer dafür in erster Linie Verantwortung trägt: Trittin.         

Allerdings wird in der Partei nicht nur sein Rückzug gefordert. Auch Trittins Kpspitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, eine Reala, hat bisher nichts über ihre Zukunftspläne verraten. Eigentlich hätte sie ein Vorgriffsrecht auf den zweiten Fraktionschefsessel, der am Dienstag ebenfalls gewählt wird. Doch quer durch die Flügel ist die Stimmung zu vernehmen, dass beide Spitzenkandidaten, wenn nicht gleich die gesamte Führungsspitze der Abgeordneten einschließlich der bisherigen Kofraktionsvorsitzenden Renate Künast abgelöst werden müsse. "Den notwendigen Neuanfang wird es mit der jetzigen Führung nicht geben", sagt ein führender Realo. Und auch vom linken Flügel wird ein Generationswechsel verlangt. "Wir müssen neue Leute nach vorne stellen und zeigen, dass wir nicht nur eine Generation vertreten", sagte Rasmus Andresen, ein jüngeres Mitglied des Parteirats, ZEIT ONLINE.